Escapade November 2016

Editorial

Liebe Freunde, Kollegen, Medienschaffende,

im November geht’s ja meist um Tod und Teufel. In diesem hier eher konkret um Trumps und Horrorclowns. Oder umgekehrt? Egal. Darum machen wir einen großen Bogen, mixen lieber eine wilde Mischung mit Worten und Bildern.
Ihr bekommt es in diesem Zeiten mit der Angst zu tun? Dann kommt zu uns. Wir wissen auch nicht weiter, aber wir bieten Poesie. Oder sowas ähnlich…
Und laden euch zu Lesungen und Musik.
Bei der wilden Mischung, die wir im schaurig schönen November für euch angerichtet haben, sind diesmal Soundkünstler und Wortakrobat Michael Dilly dabei, der poetische Lumpensammler Marvin Chlada, ebenso die einmalige Dichterin Lütfiye Güzel, sowie gar William Shakespeare himself mit seinem Übersetzer Reiner Brückner. Und der rastlose und grandiose Fotograf Michael Dressel gibt dazu Einblicke in die poetische Welt da draußen.

Zieht euch warm an…

Eure Silke Vogten und Flora Jörgens

(Titelbild: Michael Dressel)

 

006_berlin20140608_0015Fotografie: „Berlin“, Michael Dressel


Wilde Mischung

(Ohne Titel)

Alle wollten gerettet werden. Und das meistens von mir.
Ich aber wollte weder retten noch gerettet werden.
Mir lag das kurze Nicken im Vorbeigehen………….

Anfangs war die Stadt nur eine Stadt, in der ich geboren wurde.
Später aber wurde aus ihr ein schlechter Mensch…………
Ich hatte nichts gegen tote Menschen. Sie existierten für mich einfach nicht…………

Lütfiye Güzel

Der kurze Weg zum Bahnhof ist
der längste Weg der Reise.
Was ich kenne, lasse ich zurück.
Und manchmal setze ich mich so hin,
dass die Stadt mich verfolgt

und manchmal setze ich mich so hin,
dass ich ihr dabei zusehen kann

Lütfiye Güzel

 

0111_p1500874smbFotografie: „Berlin“, Michael Dressel


Wilde Mischung

SoundCloud

Hört hier unbedingt mal rein und geht mit auf die Reise:

Al Dilly Weiß

Al Dilly: Text, Musik, Stimme
Michael Henneke: Aufnahme

p1010056_0560smbwFotografie: „Berlin“, Michael Dressel


Wilde Mischung

Walt Whitman

Deine wilden Kinder
Krepieren

In den Straßen und Gossen

Der kahlen
Metropolen

Moderne Zeiten
Wahrlich

Wo es kein Gras mehr gibt
Kann niemand

Hören
Wie es wächst

Marvin Chlada

Was Poesie sei

Was Poesie sei
Wollte sie wissen
Und ich sagte

Poesie
Das ist
Das Gitarrenspiel von Andy McCoy
Das ist

Wenn jemand dich um Streichhölzer bittet
Das ist
Der wippende Busen der Kellnerin dort drüben

Und der erste Strich
Auf meinem Bierdeckel

Marvin Chlada

022_dscn1883lb_heroFotografie: „Berlin“, Michael Dessel

Wilde Mischung

Knallharte Poesie

Der einzige Spruch
aus meinem Poesiealbum
der mir in Erinnerung
geblieben ist geht so:

„Wenn dich die
bösen Buben locken
dann bleib zuhaus
und stopfe Socken“

vier kleine Scheißzeilen
mit einer Wucht
um drei volle Tage
beleidigt zu sein

Silke Vogten

Warte nicht

Warte nicht
Die Zeit ist ein Mörder
Warte nicht
Die Zeit ist ein Mörder

Warte nicht
mach es wahr
warte nicht
mache es jetzt

Warte nicht
mach es
warte nicht
Die Zeit ist ein Mörder

(Deryl van Horn alias Jack Nicolson bei der Verführung dreier Hexen…)
Aufgeschnappt von Silke Vogten

 

_1450140smb_paris
Fotografie: „Paris“, Michael Dressel

Wilde Mischung

Sonett 6

Halt Winters kalte Hand zurück, bevor
dein Sommer nicht wie Wein gekeltert ist:
Stell Fässer auf im Keller unterm Tor,
gib dir und deiner Schönheit sichre Frist!

Mit Wucher hat solch Praxis nichts gemein,
ist vielmehr Weitsicht ohne Risiko:
Es nutzt nur dir, nährst du ein zweites Sein,
verzehnfacht ist dein Selbst, verfährst du so.

Zehn Mal du selbst, das ist perfektes Glück,
da zehn von dir zehn Mal die Zeit anhalten:
Dein Tod ist dann nur noch ein Missgeschick,
lässt du den Nachwuchs deines Amtes walten.

So sei’s, denn nicht als Opfer sollst du sterben,
wir, nicht die Würmer, wollen dich beerben.

Sonett 17

Wer wird in Zukunft glauben, was ich dichte,
selbst wenn mein Wort vibriert von deinem
Wert?
Mir ist, als ob ich Gräber dir errichte,
mein Vers dein Leben und dein Tun verzehrt.

Glanz deiner Augen – möglich wär es schon,
ihn neu in neuen Bildern fortzuschreiben.
Doch Nachwelt lacht und höhnt:
“Welch falscher Ton,
die Dichter müssen immer übertreiben!”

So ehrt man meinen Vers wie welke Blätter,
wie Greise, die viel reden, doch nichts sagen;
es war bloß Dichterwahn, meinen die Spötter,
gequälter Reim aus überholten Tagen.

Doch wäre da ein Spross mit deinen Zügen,
wie könnten sie noch sagen, dass wir lügen!

William Shakespeare in einer Nachdichtung von Reiner Brückner

 

010_berlin20140607_0004Fotografie: „Berlin“, Michael Dressel

Die Künstler dieser Ausgabe sowie aktuelle Lesungen:

Alle Fotografien in dieser Escapade Ausgabe sind  von Michael Dressel. Er ist Fotograf, Maler und Soundeditor für Hollywood-Produktionen.
Er lebt in Los Angeles. Mehr von seinen grandiosen Arbeiten unter www.facebook.com/michael.dressel  und www.Michaeldressel.com

Lütfiye Güzel, 1972 in Duisburg geboren, ist Lyrikerin und Autorin. Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit leitet sie auch Poetry-Workshops. Für ihre Poems erhielt sie im Mai 2014 den Fakir Baykurt Kulturpreis der Stadt Duisburg.  Ihr aktuelles Buch „OH, NO!“ ist im Herbst 2016 erschienen.  Ihre nächste Lesung ist am 2. November 2016,  19.30 Uhr, literaturhaus.dortmund, Neuer Graben 78, DortmundEintritt: 5,- € beim Lesartfestival Dortmund
Mehr Infos: http://luetfiye-guezel.tumblr.com

nolg

Marvin Chlada ist Kulturwissenschaftler und Musiker, dazu Agent des literarischen Untergrund seit Ende der 1980er Jahre. Er ist Übersetzer (u.a. D.H. Lawrence und Allen Ginsberg), Herausgeber diverser Sammelbände und Anthologien (z.B. Alles Pop? und Das Universum des Gilles Deleuze) ebenso Autor eines kleinen Buches über große Brüste (Dialektik des Dekolletés) und vieles andere… Aktuell sind von ihm erschienen „Der Poet als Lumpensammler“ sowie „Logik der Verführung“ beides Verlag Dialog Edition 2016.
Mehr Infos:  http://www.chlada.de

Michael Dilly ist Musiker und Literat. Lassen wir ihn sich selbst beschreiben: „Der Gitarrist, Sänger, Songwriter, Literat, Privatgelehrte und elfenhafte Tänzer in einem falschen Körper ist vollkommen orientiert und erinnert sich noch an alles. An unzählige Auftritte als Gitarrist und Sänger – sowohl solo als auch in diversen Formationen. An etliche Veröffentlichungen und Arbeiten als Studiomusiker sowie als Literat. Sowie an unfassbare Auszeichnungen und Erfolge. Oberhausener Literaturpreis // erster Platz (unter falschem Namen),  Schermbecker Kleinstkunstpreis,  Silberner Fuchs der Stadt Lübeck,  Brüsseler Tanztage // Publikumspreis, 800-Meter-Lauf // zweiter Platz (mit nur einem Schuh – Sieger der Herzen). Handelte sein Frühwerk vor allem von „Boy meets girl“ und „Girl leaves boy“, so geht es aktuell um Themen wie „At the dentist“ oder „Falling asleep despite caffeine“

Reiner Brückner, Jahrgang 1943, einst  freier Journalist (Bereich Medien) – u. a. bei FR, SZ, Die Welt, KSTA, zuletzt „wdr-print“. Film- („Der Mann der Goebbels jagte“) und Sachbuch-Autor („Deutschlands Traumelf). Seit 2008 Pensionär, aber am Ziel seiner beruflichen Träume: Nur noch Lyriker. Im Herbst 2016 erscheinenseine Shakespeare-„Sonette“ –Übersetzung, Titel: „Die Sonette/Von Anfang  an weiß Liebe, dass sie lebt“, in der “edition geistreich (Wien, Innsbruck, Köln) – im 400. Todesjahr des großen Briten. Die Vorstellung dieses Lyrik-Ereignisses hat ein Datum: 19. November  2016, 19 Uhr 30, „Alte Färberei“/Wuppertal – Programm-Link: /www.faerberei-wuppertal.de

SAVE THE DATE……. 25.. November 2016, 20 Uhr, Duisburg
Und hier auch mal ne Lesung, wo Herr Chlada, Herr Dilly und Frau Vogten gemeinsam die Wörter schmettern und zur Musik schunkeln:
Mehr Infos unter www.lokal-harmonie.de

lecture_musique

 

 

 

 

One Comment

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert