Mai/Juni 2024


Titelbild: Frank-Kirk Ehm-Marks

Editorial

Liebe Freunde, Kollegen, Medienschaffende,

diesmal möchten wir euch eine Ausstellung in Berlin empfehlen – und zwar die des in 2022 verstorbenen Künstlers Frank-Kirk Ehm-Marks.  Der Projektraum Zwitschermaschine zeigt vom 3. 5 – 12. 5. 2024 Zeichungen und Malerei von Frank unter dem Titel „Keine Phänomene / Jetzt erst recht“.  Termine für die Vernissage und das Begleitprogramm findet ihr unten. In seinem Nachruf, der im Berliner Tagesspiegel veröffentlicht wurde, porträtiert dazu der Autor und Literaturveranstalter Erik Steffen auf seine unvergleichliche Weise den Künstler und Menschen Frank-Kirk Ehm Marks. Den Nachruf und einige Werke findet ihr so in der aktuellen Escapade.

Wer dann in Berlin ist, der kann auch gleich bei der Lesung  am 12. 5. 2024 im legendären Kreuzberger „Goldenen Hahn“ vorbeischauen. Hier freut sich Silke Vogten  zusammen mit  Florian Günther aus aktuellen Werken zu lesen. Und euch die Worte um die Ohren zu hauen.
Alle Infos dazu unten unter Terminen.

Schaut. Lest. Hört zu und seid dabei.

Wir freuen uns.

Eure,
Silke Vogten und Flora Jörgens

 


Bild: Frank-Kirk Ehm-Marks

Frank-Kirk Ehm-Marks 1961-2022

Nachruf von Erik Steffen

„Du willst schreien / es herausschreien / die Wut die in Dir frisst / die Dämonen die Dir / Angst machen benennen / Loslassen einfach loslassen.“ So heißt es in einem seiner Gedichte. „Schreibe, schreibe, male, male“ war Frank-Kirk Ehm-Marks‘ Überlebensmotto. Heroin und Methadon sind keine Spaßdrogen, süchtig war er bis zum Schluss. Wenige haben ihr eigenes Selbstbetrugsdezernat so offengelegt wie der Kreuzberger Künstler, der dem Absturz ein Universum an Texten und Bildern abgerungen hat, bis nichts mehr ging. Weil er keinen Bock mehr hatte auf ein Leben, das sich auf „Aua. Scheiße. Scheiße,“ reduziert hatte in einer Pflegeeinrichtung im Kiez. Stifte, Papier und seine Bücher nun ohne Bedeutung. Die Generation der „Kinder vom Bahnhof Zoo“ hat einen ihrer letzten Überlebenden verloren.

Irgendwie klebte Frank schon die Scheiße am Schuh, als er geboren wurde. Auch wenn seine Mutter ihn nach Kirk Douglas benannte – ein schöner Film wird sein Leben nicht, statt Glam-Faktor eher Arsenikblüte. Der Vater ist Ganove und Säufer, immer auf der Flucht, die Mutter folgt ihm blind. Aus West-Berlin sind sie nach Bad Kreuznach geflüchtet, wo Frank zur Welt kommt. Als er drei Monate alt ist, lassen sie ihn bei den Großeltern und gehen in die DDR, Merseburg, kurz vor dem Mauerbau, Flucht vor der Justiz. Seine vielköpfige Familie lernt Frank erst nach der Wende kennen, Knasterfahrung haben einige.

Frank wächst in der beschaulichen Gartenstadt Spandau auf, sein Stiefopa, Altkommunist und SEW-Funktionär, ist überfordert, kontert alles, was der Junge falsch macht, mit preußischer Härte. Frank wird am Herz operiert, liegt lange im Krankenhaus, ist entwicklungsverzögert. In der Schule kommt er nicht klar, mit 16 ist Schluss, kein Abschluss, keine Ausbildung. Richtig lesen und schreiben kann er nicht, er taucht ab in die Drogen- und Stricherszene am Bahnhof Zoo. In dem Film über Christiane F. spielt er nur eine Kleinrolle, sich selbst. Aber er hat fast alle überlebt.

Als er im Herbst 1979 Susanne kennen lernt, wird nicht alles besser, aber vieles anders. Mehr als 40 Jahre bleiben sie verbunden, zwischen Himmel und Hölle. Eigentlich hat sich die Jurastudentin in der Kreuzberger Kifferkneipe „Jodelkeller“ einen anderen Traumprinz erwählt, der aber abhandenkam. Da steht nun Frank, mit verwegenem Grinsen und leeren Taschen, auf der Suche nach einem Pennplatz und vielleicht mehr. Praktisch, dass sie gleich um die Ecke in der Oranienstraße eine kleine Wohnung hat, ein großes Herz und ausgeprägte Nehmerqualitäten sowieso. Dass der neue Freund auch lebenslanger, kräftezehrender Mandant wird, kann sie ja nicht wissen. Als linke Anwältin kümmert sie sich um  Randexistenzen. Wohnen tun die beiden nun gemeinsam im so genannten „Irrenhaus“, wo es häufiger brennt, die Beziehungsprobleme mit der Axt oder der Polizei geklärt werden und Drogen aller Art verfügbar sind. Eine Umsetzwohnung nimmt den Druck raus.


Bild: Frank-Kirk Ehm-Marks

So schön das kleine Heim ist, Frank zieht es immer wieder raus. Da werden Häuser besetzt, Punks und Trebekids wie er kommen dort unter, bis die verhasste Polizei räumt. In der Adalbertstraße 6 ist er einer der Erstbesetzer, schreibt Texte für Flugblätter, nimmt weiter Drogen und lernt viele ähnlich Verpeilte kennen. Susanne hilft ihm beim Lesen und Schreiben Lernen. Gemeinsam lesen sie „Todestrieb“ von dem französischen Gewaltverbrecher Mesrine. Für Verbrecher zeigt Frank lebenslang eine große Sympathie, auch wenn er selbst nur der Klein- und Beschaffungskriminalität verhaftet bleibt. Welche Rolle er in den militanten Kämpfen der der Hausbesetzerbewegung spielt, bleibt verschwommen oder Teil einer persönlichen Legendenbildung.

Frank entdeckt die Welt der Bücher und der Kunst, findet seine Fixpunkte an den Rändern des Bildungskanons: Charles Manson, Louis-Ferdinand Céline, Francois Villon, Edward Limonow und natürlich Charles Bukowski. Er begibt sich auf kalten Entzug, ringt um Worte und Motive, nüchtern wie nie, hat eine Bestimmung: Die Zeit nicht mehr totschlagen, er hat genug davon verloren. Er malt und zeichnet im Stil der Art brut, auch seine Texte: verstörend, krass, poetisch. Social Beat nennt sich die Literaturbewegung, die das Leben jenseits der Komfortzonen zeigt. Mit seiner Vorgeschichte eine Punktlandung. Auch wenn er wie Bukowski zeitlebens von  Lampenfieber gequält wird, in schlechten Zeiten alles wegdrückt mit Heroin vom Kotti. Eine Rampensau wird er nie, bleibt aber authentisch.

Susanne sieht das Potenzial und sein Aufblühen, auch wenn die Motivspender seiner selbstzerstörerischen Seite geschuldet sind. Todessehnsucht ist nicht nett, schon gar nicht in einer Liebesbeziehung. Frank kommt wieder drauf, stürzt wieder ab. Sie weiß nicht, in welchem Zustand sie ihn findet, wenn sie von der Arbeit kommt. Diesmal Entzug mit Methadon, er reißt sich zusammen für mehr als ein Jahrzehnt. Mit den Büchern „Das Glück auf der Hollywood-Schaukel“ und „Eintöniges Leben in schmucklosem Raum“ wird er einem etwas größeren Publikum bekannt. Die Nullerjahre sind eine gute Zeit für Susanne und ihn; er lebt von Kaffee und Zigaretten, tritt bei Lesungen mit Undergroundikonen auf, hat seinen Suchtdruck im Griff. In der „Mongo-Bar“, einem kurzlebigen Kreuzberger Souterrainclub, ist er der einzig Nüchterne hinterm Tresen und im Raum. Seine Ausstellungen sind oft ausverkauft. Mit dem Literaturveranstalter text flex hat er einen Unterstützer, der eine Vielzahl seiner Lesungen und Publikationen organisiert.

Dann geht‘s wieder bergab, mit Karacho. Es fängt mit dem Verkauf von Hasch an Tresenleute an, Freigetränke im Gegenzug, Zigaretten, die er an seinen Beinen ausdrückt, um sich abzustrafen. Wieder drauf, vom Alkohol zum Heroin ist es ein kleiner Schritt. 2011 holt er alle Bilder aus seiner Ausstellung im Weltkulturerbe „Zum goldenen Hahn“ raus, samt Bilderrahmen und verscherbelt sie zu Sonderpreisen, um sich am Kottbusser Tor mit Heroin einzudecken. Sein hartgesottener Mentor, Klaus Theuerkauf von „ endart“, bleibt wütend zurück.Waren ja seine Bilderrahmen und jahrelange Aufbauarbeit. Und nun alles unter Wert!  Frank schreibt weniger, Bilder lassen sich leichter verkaufen für den schnellen Schuss. Auch wenn er die Leinentasche mit seinen Unikaten immer mal verliert.

Mit seinem Freund Matt Grau betreibt er das trashige „Kreuzberger Kasperletheater“. Mit alten Puppen und neuen Inhalten, je nach Rauschzustand choreographiert oder desolat, bespielen sie Galerien, Kneipen und Festivals. Mit Klobürsten prügeln sie auf Tannenzäpfle-Bier, Polizisten und die bösen Gentrifizierer ein. Entsetzte Mittelschicht-Eltern ziehen ihre Kinder weg, der Rest lacht und applaudiert. Susanne schmeißt ihn raus, nachdem er eine Beziehung mit der Kellnerin seiner Lieblingskneipe „Rote Rose“ eingeht. Aber sie nähern sich wieder an, auch wenn er nun im betreuten Wohnen festhängt.

2017 eine Gehirnblutung, Susanne wird seine Betreuerin. Er verliert die Sprech- und Lesefähigkeit, sein Kurzzeitgedächtnis, die Mobilität. Kämpft sich mühsam zurück. Sie freut sich über jede kleine Verbesserung. Aber viel besser wird’s nicht mehr. Im Gegenteil.

Dank Susanne ist es dann kein Armenbegräbnis. Viele finden den Weg dorthin, erschüttert, nicht überrascht.


Bild: Frank-Kirk Ehm-Marks

 

Prinz

An ausgebrannten Karren vorbei
An der Ecke die Bildzeitung kaufen
Einen Flachmann mitgehen lassen
Den sonnengebräunten Frauen
ausweichen
Einen treffen
Sich von dem auf die Schulter
klopfen lassen
Gemeinsam eine rauchen
Später im Hausflur den
Flachmann leeren
In einem Zug
Dann bei der Suppenküche
vorbeigehen
Die Suppe auslöffeln
Sich innerlich totlachen
Und sich sagen müssen
Ein „Morgen“ gibt es nicht

 

Tief ins Glas geschaut

Nach allen Erfahrungen
Nach allen Enttäuschungen
Nach allem Dreck
Es kann nicht anders sein
Entweder bin ich Gott
oder Nietzsche
oder das Pferd
oder der Bahnhof
wo der Vorfall geschah,
in Mailand? Bologna?
Doch, da bin ich mir sicher
Ich bin der Bahnhof
der Kopfbahnhof
aus dem die Gedankenzüge
in die Ferne
in die Leere rasen

Frank-Kirk Ehm-Marks

 


Bild: Frank-Kirk Ehm-Marks

 

Künstler dieser Ausgabe:

Frank-Kirk Ehm-Marks  (1961-2022) wurde  in Bad Kreuznach geboren und lebte seit der frühen Kindheit in Berlin. Seit 1984 erschienen seine Texte und Zeichnungen in Kleinverlagen, teilweise im Selbstverlag, oft im Kontext von Copy Art und End Art. Die besten davon sind ganz unverwechselbar. Von »Die Verfassung der Gäste« über »Mielachs Glocken« und »Harnröhrenentzündung« bis zu »Der blaue Zigarettenautomat« bilden seine Bücher und Hefte ein konsequent durchgeführtes, mühsames Projekt: Sich auf der Trümmerhalde des Bildmaterials einer explodierten Untergrund-Moderne der Spuren des eigenen Lebens zu versichern. Infos Maroverlag. Seine Werke sind in namhaften Sammlungen wie  Charlotte Zander und die Achim-Freyer-Stiftung, ebenso vertreten wie in Museen, z.B. dem Museum Dr. Guislain in Gent/Belgien.

Erik Steffen, Jahrgang 1963, wurde Anfang der 80er Fan der West-Berliner Kultgruppe Die Tödliche Doris, studierte sinnfrei an verschiedenen Orten, um endlich 1986 Kreuzberg SO 36 zu betreten, wo er lange lebte, dachte, schrieb und trank. Der Mauerfall führte ihn zum Studienabschluss über Punk und Literatur in der DDR, in den Bundestag als Lektor und wieder hinaus, ins Freie… Davor, dabei und danach Industrial, Techno und HipHop.  Seine Begegnungen mit Menschen und den Abschieden sind als Nekrologe seit 2008 im Tagesspiegel und später dem DreckSack nachlesbar. Außenseiter pflastern seinen Weg. Als Herausgeber, Autor, Literaturveranstalter text flex und Kurator Spuren, die in der Hackfresse Gentrifizierung sitzen! Pickel & Pisse. Halt Punk. Letzte Mittäter-Taten: SO36, Von 1978 bis heute (Ventil Verlag), Schwarzbuch Kreuzberg (edition rabenschwarz).


Termine:

AUSSTELLUNG

03.05 -12.05 2024
KEINE PHÄNOMENE /
JETZT ERST RECHT
Zeichnungen & Malerei
FRANK-KIRK EHM-MARKS
Projektraum Zwitschermaschine
Potsdamer Straße 161 10783 Berlin

Programm:
Zur Eröffnung: Fr 03.05 • 20 Uhr
Lesung Texte von Frank-Kirk Ehm-Marks //
Matt Grau & Kreuzberger Kasperletheater Live

Zur Finissage: Sa 11.05. • 20 Uhr
Konzert Klaus Beyer & Matt Grau

LESUNG

 

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