Titelbild: Willibald Pauli / o.T./ 63 X 67 cm /Acryl auf Pappe
Editorial
Liebe Freunde, Kollegen, Medienschaffende,
ob in tiefster deutscher Provinz, einem andalusischen Küstenort oder auf Südtiroler Gipfeln – seltsame Begegnungen warten allerorts. Dazu gehören Häuser, die man besser nicht betreten und Katzen, vor denen man sich fürchten sollte. Nachbarn, die dunkle Geheimnisse bergen. Berghöfe, auf denen einem nicht alle Bewohner wohl gesonnen sind. Oder Luxushotels, in denen sich Abgründe auftun.
In den Geschichten von Silke Vogten laufen die Figuren dabei immer Gefahr, leicht neben die Spur zu geraten. Oder sie sind es längst.
Ihr hört es schon – diesmal gibt es Werbung in eigener Sache. Das oben Genannte stammt aus der Verlagsinfo zu Silkes neuem Buch „Eine Nacht im Kameha“ Erschienen beim Verlag Trikont Duisburg/ Dialog Edition. Silke hat diesmal statt Lyrik Erzählungen geschrieben. Und die sind spannend, abgründig und in gewohnt eleganter Ironie.
Passen also gut in die dunkle Jahreszeit, um vor dem Kamin zu lesen. Oder als Geschenk zu Halloween, Nikolaus, Weihnachten, oder falls Onkel Fridolin auf Reisen geht…
So genug Werbung.
Als Leseprobe gibt es einen Auszug aus einer der Erzählungen in der neuen Escapade.
Und mit den begleitenden Bildern von Renee Radermacher und Willibald Pauli hat es Folgendes auf sich: Diese standen alle für das Cover zur Verfügung – das war nicht einfach, die Wahl fiel dann auf jenes des verstorbenen Oberhausener Künstlers Pauli, dessen Bilder der wunderbare Kunstkenner- und Sammler Renee Radermacher vor der „Versenkung“ und dem Vergessen gerettet hat. An dieser Stelle noch mal Danke.
Das Buch gibt es direkt beim Verlag oder im Buchhandel.
Verbringt die Nacht mit uns…
Eure,
Flora Jörgens
Bild: Renee Radermacher / o.T./ 50 X 65 cm /Acryl auf Leinenpapier
Eine Nacht im Kameha:
Die Katze
Andalusien, Nerja
„Glücklich ist das Haus mit mindestens einer Katze.“
Volksweisheit
Der blaue Vorhang vor den Fenstern tauchte den Raum in ein seltsam unwirkliches Licht. Als sie ihn zur Seite zogen, waren sie überrascht, vom plötzlichen Weiß der Mauern, von der strahlenden Sonne und einem Meer, das in der Ferne türkis leuchtete.
„Schön“, sagte Isabel. „Wie wunderschön.“
Sie stand schweigend vor ihm am Fenster, er umschlang sie mit seinen Armen und eine Weile genossen sie die Aussicht.
„Ist ja ekelhaft“, sagte er nur nahe ihrem Ohr. Sie spürte, wie er grinste. „Widerlich.“ Sie lächelte.
Alles war gut. Die Aussicht, das Appartement, die Gärten mit den kleinen, hübschen Bungalows und all den bunt blühenden, exotischen Blumen um sie herum. Der erste Eindruck war stets entscheidend, man inspizierte mit stakkatoartigen Blicken die neue Umgebung, in die man, nach einigen Stunden Flug und Fahrt, hinein katapultiert worden war. Diese Blicke bestimmten über Euphorie oder eine erste Urlaubsdepression in einem fremden Land. Sie beide hatten das schon oft zusammen erlebt.
Alles war gut.
Sie waren zu müde, um ihre Koffer auszupacken. Mitten in der Nacht waren sie aufgebrochen, hatten ihre kühle und verregnete deutsche Stadt am Fluss hinter sich gelassen und sich dem Transport ergeben. David hatte zwei kleine, weiße Tabletten geschluckt, die ihn auf rätselhafte Art und Weise von seiner Flugangst befreiten. „Gib mir auch eine“, hatte sie gebeten, aus Solidarität und aus Neugierde, und während des Fluges eine gewisse Trägheit der Sinne verspürt, wie in Watte gepackt.
„Wie fühlst du dich?“, hatte sie ihn mehrmals mit prüfenden Blicken gefragt.
„Hervorragend“, war seine Antwort. „Ein Hoch auf meinen Hausarzt.“
Unter ihnen türmten sich die weißen, riesigen Wolken.
Bild: Renee Radermacher/ o.T. / 16,5 X 50 cm/ Acryl auf Leinenpapier
Mittags waren sie in Nerja angekommen, dann hatten sie einige Stunden geschlafen. Das grelle Licht tat ihren Augen weh, die Lust auf die neue Umgebung beugte sich der Erschöpfung und dem flirrenden Weiß in ihren Köpfen. Sie ließen die Koffer unausgepackt und dunkelten das kleine Schlafzimmer mit den hölzernen Jalousien vor den Fenstern ab. Es gab zwei Betten. Sie nahmen wie immer bloß eines, obwohl es eigentlich zu schmal war und auch zu heiß, um so eng beieinander zu liegen.
„Nur schlafen“, sagte Isabel und wunderte sich, dass sie es mit dem Mietwagen überhaupt noch vom Flughafen in Malaga bis hierher geschafft hatten. In ihrem Zustand hätten sie nicht fahren dürfen, die Tabletten wirkten erstaunlich, sie hatten drüber gewitzelt und betont langsam geredet.
Nun war David schon in seinen Träumen. Und auch sie ergab sich einer bleiernen Müdigkeit.
„Ich wollte doch zuerst ans Meer“, dachte sie noch und stellte sich das Rauschen und die Kühle vor.
„Später …“
Als sie aufwachte, war das Bett neben ihr leer, im Zimmer war es dunkel. David hatte sie weiterschlafen lassen.
„Kaffeeee …“, rief sie übermütig und lauschte auf seine Antwort. Er schien sie nicht zu hören. Da stand sie auf. Es war warm und ihr nackter Köper fühlte sich leicht verschwitzt an. Beim Öffnen der Tür war sie erst geblendet von der Helligkeit, dann sah sie ihn, vorne auf dem Balkon, vor etwas niederknien.
„Hier wohnt schon jemand“, sagte er lächelnd, als sie näher kam.
Sie bemerkte eine grau melierte, große Katze, die jetzt träge zu ihr hinüber blinzelte und sich dabei ungerührt von David streicheln ließ.
„Eine Katze“, stellte sie verschlafen fest und beugte sich zu ihr hinunter, ohne sie jedoch anzufassen. „Wie hübsch.“
„Ein Untermieter“, meinte David. „Die ruht sich hier sicher von ihren nächtlichen Eskapaden aus.“
„Katze oder Kater?“
„Keine Ahnung. So wie sie dich gerade anguckt … wohl ein Kater.“
Sie lachte. „Was auch immer. Sollen wir runter zum Meer? Es ist bestimmt schon spät.“
„Ja. Wir haben fast fünf Stunden geschlafen.“ David hörte auf, die Katze zu streicheln und stand auf. Die erhob sich ebenfalls und wollte ihm ins Appartement folgen.
„Hm. Die will rein. Ich glaube, die wohnt hier wirklich.“ Er sah skeptisch zu ihr runter.
„Vielleicht haben die Gäste vor uns es ihr erlaubt“, rief Isabel, die angefangen hatte, ihre Sachen auszupacken. „Lass sie draußen. Wahrscheinlich ist sie ein kleiner Flohsack.“
David scheuchte die Katze, die bereits abwartend auf der Schwelle zum Wohnraum stand, wieder zurück auf den Balkon. „Nein. Raus! Nein, geh raus. Raus!“ Er schloss die Glastür.
Die Katze schenkte ihm einen langen, vorwurfsvollen Blick, wartete noch eine Weile vor der Tür, dann sprang sie auf den weißen Plastikstuhl und rollte sich wieder ein.
Spätabends kehrten sie zurück, trunken vom Rotwein und dem Duft der fremden, süßen Blumen. Isabel ließ sich auf das Sofa fallen. Ihr Haar war noch feucht vom Meerwasser und sie betrachtete den Kamin, der weiß und sauber in eine Ecke des Raumes gemauert war.
„Wir könnten ein Feuer machen. Vorne an der Rezeption kann man Holz kaufen.“
„Es ist doch viel zu warm. Sei doch froh, dass wir hier keins brauchen wie zu Hause.“
„Stimmt“, antwortete sie, obwohl ein leiser Hauch von Kälte an ihr hochkroch. „Ich wollte nur eine Überdosis Romantik.“
David lachte über sie und machte die Terrassentür auf. Er ging hinaus und schien im Dunkeln etwas zu suchen.
„Suchst du die Katze?“, rief Isabel ihm zu. „Die ist sicher auf Nachtschicht. Jetzt beginnt doch für sie die spannende Tageszeit. Hast du gesehen, wie viele Katzen sich hier in den Gärten rumtreiben?“ Sie bekam keine Antwort. „Und?“
„Nein, die Katze ist hier. Die liegt auf einem der Stühle.“
„Immer noch?“ Isabel stand auf und ging hinaus. Es war mild, ein leichter Wind kam vom Meer, und unter ihnen war es ganz still. Das Appartement im Erdgeschoss schien nicht vermietet zu sein. Auch der Garten wurde nicht benutzt, dunkel und breit standen dort die Olivenbäume. Die Katze lag auf dem Plastikstuhl und sah sie beide ruhig aus großen, gelbgrauen Augen an.
„Ob sie krank ist?“, fragte Isabel.
„Keine Ahnung. Ich hol ihr etwas Wasser.“
Isabel musterte die Katze, die im Schein der Lampe, der nach außen drang, recht gesund aussah.
Bild: Renee Radermacher/ o.T. / 50 x 65 cm /Acryl auf Leinenpapier
Etwas hielt sie davon ab, sie zu berühren. Sie war kein großer Katzenliebhaber, aber sie mochte Tiere. Dieses hier flößte ihr Respekt ein.
„Na du? Da wohnst du hier, und dann kommen wir …“
David brachte das Wasser in einer kleinen Schale und hielt es der Katze hin. Sie beäugte es vorsichtig, dann trank sie.
„Siehst du!“
„Was?“
„Wie durstig sie ist. Ob die hier zu wenig Wasser haben?“
„Unsinn. Sie ist vielleicht wirklich krank.“
Da erhob sich die Katze, machte einen beachtlichen Buckel, fauchte kurz und sprang vom Stuhl, um zielstrebig in die Wohnung zu laufen.
„Mist. Jetzt ist sie drin!“, meinte Isabel.
„Die ist raffiniert.“ Beide folgten ihr und sahen ratlos zu, wie die Katze versuchte, es sich auf einem der Sessel gemütlich zu machen. Als sie die richtige Position gefunden hatte, blickte sie von unten vorsichtig zu ihnen auf. Aus großen Augen starrte sie die beiden ebenso sanft wie durchdringlich an.
„So ein Herzchen!“
„Was machen wir?“, fragte David unschlüssig. „Lassen wir sie hier wohnen?“ Er sah erst die Katze an, dann Isabel.
„Ich weiß nicht. Willst du sie hier haben?“
„Du hast schon recht. Die ist bestimmt ein kleiner Flohsack.“ Er ging auf das Tier zu und machte eine vertreibende Geste. „Los! Raus! Komm … los … schschsch!!! Raus …. Los!“
Die Katze erhob sich sofort, sprang hinunter und lief zurück auf den Balkon. David schloss die Tür und sie sahen, wie sie noch eine Weile stoisch vor der Glasscheibe saß und hineinsah. Isabel war froh, dass ihr Mann es übernommen hatte, die Katze zu verscheuchen. Kurz hatte das Tier ihr leidgetan, aber irgendwie wollte sie es auch nicht im Appartement haben. Sie sah noch den beleidigten Blick, wie die Katze schließlich geschmeidig vom Balkon in den Garten sprang und dann in die Nacht verschwand.
„Jetzt ist sie sauer“, sagte David fast bedauernd. „Ob die wiederkommt?“
„Bestimmt“, erwiderte Isabel. „Das ist ein kleiner Dämon.“
Sie wusste nicht, warum sie das sagte.
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„Eine Nacht im Kameha“, Erzählungen von Silke Vogten, Trikont Duisburg/ Dialog Edition, 2023
Künstler dieser Ausgabe:
Silke Vogten liest und schreibt und liest und … Zwischendurch treibt sie sich in den Wäldern des Niederrheins und gerne hinter der niederländischen Grenze rum. Und ab und an auch im dicken Berlin. Bislang erschienen von ihr vier Lyrikbände. Dazu Veröffentlichungen in diversen Magazinen, Hörbüchern und Anthologien. Seit 2010 gibt sie als Co-Autorin gemeinsam mit Flora Jörgens den Kunstbrief „Escapade-belles-lettres“ raus. Ihr Erzählband „Eine Nacht im Kameha“, ist erschienen im Verlag Trikont Duisburg Dialog Edition, 2023. Mehr Infos unter www.literaturport.de/lexikon/silke-vogten/
Willibald Pauli (*1905 Danzig – 1998 Oberhausen) war Diplom Handelslehrer und von 1946 – 1970 Englischlehrer an der Hans-Böckler-Schule, Oberhausen. Während des 2. Weltkrieges war er bei der Luftwaffe und als Hauptgefreiter in Paris für die Abwehr stationiert. Dort erste Begegnungen mit expressionistischer Malerei. Nach dem Krieg war er ein Bewunderer der „Gruppe CobBrA„ und begann selbst mit dem Malen. Vertiefung seiner Malkünste und Anfreundung mit den Oberhausener Künstlern Walter Mawick, Hans Harms und Heinrich Kasan. In den 1950er- und 60er Jahren immer wieder in der Jahresschau der Oberhausener Künstler in der städtischen Galerie Schloss Oberhausen vertreten. 2015 wurde sein privater künstlerischer Nachlass vor dem Sperrmüll gerettet.
Renee Radermacher mag seine Ruhe und schätzt es, unerkannt und im Verborgenen Kunst zu schaffen und zu sammeln. Dafür schätzen wir ihn umso mehr!