Editorial
Liebe Freunde, Kollegen, Medienschaffende,
wir haben euch in der Vorweihnachtszeit was Besinnliches eingepackt.
Es kommt vom Dichter Florian Günther aus Berlin.
Denn der schreibt laut Rolling Stone „mit einer Wucht, als bestünde noch Hoffnung.“
(…)
Das finden wir auch – und das können wir gerade brauchen.
Die Bilder liefert er übrigens gleich mit, denn er schreibt nicht nur sagenhaft, sondern ist auch Fotograf.
(Für alle, die noch auf der Suche nach einem guten Buch als Geschenk sind, gibt’s unten einen Link zu seinen Gedichtbänden und Fotobüchern.)
Also angucken, lesen, eintauchen, abtauchen
und Tschüss für dieses Jahr.
Eure, Silke Vogten und Flora Jörgens
(Titelbild sowie alle folgende Gedichte und Fotografien: Florian Günther)
Besinnliches aus B.
Das Ende
einer großen Liebe
Sie mochte
Schostakowitsch.
Ich auch.
Aber nicht so
oft.
Unter Philosophen
Wir saßen vor dem
Blumengeschäft
am S-Bahnhof. Die
Flasche ging
von Hand zu Hand,
und ab und an
erklang das leise
Klimpern einer Münze.
Scheint n guter Tag
zu werden, sagten
meine Freunde
von der Straße. Was
machst du n heut
noch so?
Mal sehn, sagte ich.
Vielleicht such
ich mir n Job, oder
ne Frau, oder sonstwas.
Ihr Gelächter
verfolgte mich noch
hundert Meter weiter.
Besinnliches aus B.
Früh übt sich
Ich stehe an einer
Kreuzung und sehe ein
paar Jungs, die
mit einer toten Taube Fußball
spielen.
Bei jedem Kick
wirbeln Federn auf,
an ihren Schuhe
klebt Blut.
Die werden es mal
weit bringen.
Friedrichshainer Konkurrenz
Eines Mittags,
als ich mit
einem schweren Kater
zu mir kam, war
das Erste, was
ich durch das offene
Fenster
hörte, dieser Mann:
Franziska! Ich
hab dich
gesagt, du sollst
oben kommen, wir müssen
noch bei ALDI!
Der Mann hat
Stil, dachte ich.
Wenn
der Gedichte
schriebe, könnten
eine Menge
Leute packen.
Besinnliches aus B.
Bestellung
Ich krieg n Berliner.
Probier doch mal
n Warsteiner.
Zu teuer.
N Warsteiner,
mein Freund,
zeigt den andern,
daß du Arbeit
hast!
Ach ja? Ich
krieg n Berliner.
Egal, was man schon durchgemacht hat:
vor manchen Weibern hat man trotzdem Schiß
Mein Gesicht war ein
angeschwollener, tiefroter Klumpen.
Aber ich konnte nicht die ganze
Zeit im Bett herumliegen, also stand ich auf,
setzte mich draußen in den Flur
und erschreckte die anderen Patienten.
Hast du das gesehen?
hörte ich sie im Vorbeigehen
tuscheln. Du meine Güte,
hoffentlich seh ich nach meiner OP nicht
auch so aus …
Ich saß da und streckte
die Beine von mir. Ich fühlte mich
eigentlich recht gut, nur daß
ich meinen Kopf nicht spürte. Auf einmal
stand die Oberschwester neben mir.
Sie sollten eigentlich
im Bett sein, Herr Günther.
Warum? Ich fühl
mich wunderbar hier draußen.
Aber Sie erschrecken
die anderen Patienten!
Dann schicken
Sie die doch ins Bett!
Sie sah mich drohend an,
und ihr Gesicht war jetzt so rot
wie meins. Dann
klingelte ein Telefon.
Als ich sie nicht mehr sprechen hörte,
stand ich auf und ging wieder
ins Bett.
Besinnliches aus B.
Kein Problem
Er war pleite,
und in der Jobvermittlungsfirma
sagten sie ihm, du kannst
bei Bahlsen anfangen;
drei Schichten, 5,60 Euro
die Stunde.
Netto? fragte er.
Brutto. Aber daß du mir
ja pünktlich bist!
Er nickte und
bekam den Job.
Na? fragte
ihn seine Alte. Hast
du was
gefunden?
Klar, erwiderte
er ihr. Ich hab dir doch
gesagt: Einen
wie mich suchen
sie immer.
Geschenk vom Chef
Sie waren unten am Regale-
zusammenbauen, als der Chef
mal kurz vorbeisah:
Hört mal her, Jungs: Die Palme
in meinem Büro wird
immer größer und nimmt mir das ganze Licht.
Kann die einer von euch beiden
brauchen?
Ich nicht, Chef, sagte Arno.
Ich schon! sagte Mike.
Ich steh nämlich auf Palmen!
Ok. Dann kommt nach
Feierabend hoch und holt sie bei
mir ab.
Der Chef ging weg. Auf dem
Nachhauseweg kamen
sie an einem Sperrmüllcontainer vorbei.
Mike fuhr an die Seite, stopfte die Pflanze da rein,
und stieg wieder in den alten Kombi.
Was soll der Scheiß?
fragte Arno. Ich denke, du stehst
auf Palmen?!
Red keinen Stuß, Mann, sagte Mike.
Ich bin pleite. Und ich wollte das Arschloch
nicht verärgern, bevor ich meine Kohle
in der Tasche hab.
Besinnliches aus B.
Nirgends ist man sicher
Die Fäuste in die
Hüften gestemmt stand
sie da.
Sie sind doch der
Schriftsteller von ganz
oben!
Schriftsteller?
Ja. Ich hör
sie immer lachen!
Mich?
Ja! Durch ihre
Tür, wenn ich da
oben wische.
Kann eigentlich
nicht sein. Ich hab seit
Jahren nicht gelacht.
Sie beugt sich über
ihren Eimer; wringt den
Scheuerlappen aus,
kommt wieder
hoch und tippt mir mit
dem nassen Zeigefinger an
die Brust.
Ich weiß, daß
Sie das sind. Ich wette,
Sie lachen über
ihren eigenen Mist!
Florian Günther
Alle Gedichte und Fotografien in dieser Escapade Ausgabe sind von Florian Günther
Seine Gedichte erscheinen im Verlag Edition Lükk Nösens. Seit 2010 ist er der Herausgeber des DreckSack – Lesbare Zeitschrift für Literatur.
Die hier gezeigten Fotografien stammen aus seinen Fotobüchern „Genug Zeit zu verlieren“ sowie „Reisen ohne Wegzumüssen“.
Bislang erschienene Gedichtbände sind u.a. „Mir kann keiner“, ( 2009) „Dusel“( 2004) oder „Mehr war nicht drin“ (dieses erschien im Verlag Peter Engstler, 2013)
Sein neuestes Buch „Schutt, Aufgeschnapptes, Sprüche und Notizen“, wird im Moloko Print-Verlag veröffentlicht, Vorbestellungen hier.
.
Köstlich! Humorvoll und besinnlich zugleich. Eine schöne Form moderner Lyrik.
Ganz groß, lieber Florian Günther. Lyrik im Bukowskyschen Sinne, dennoch sehr deutsch, weit von unten der Blickwinkel. Das mag ich besonders. So etwas fehlt – und nicht nur hier, Mehr Schwielen. Erde, Blut, Schweiß. (Tränen brauchen wir nicht, geheult wird woanders). Ich will mir sofort Ihr Buch bestellen. Wenigstens das letzte. Geht das? Ich versuch’s mal.
So kenne ich Berlin. Die Gedichte sind klar, nicht verschwurbelt. Gefällt mir sehr.