November 2022


Titelfoto Siebrand Rehberg, Berlin 2021

Editorial

Liebe Freunde, Kollegen, Medienschaffende,

der schöne Monat der Dunkelheit ist da, und wir gedenken der Toten auf unsere Weise. Auf die literarische.
Und das mit der Kunstform des Nachrufes, den der Autor und Publizist Erik Steffen wunderbar und aufs Eigensinnigste beherrscht.
Seit Jahren veröffentlicht er im Berliner Tagesspiegel Nachrufe und erinnert an „nicht-prominente“ Berliner,  an Alltagshelden und Kiez-Größen, die in jüngster Zeit gestorben sind.
Diese lesen sich bei Erik Steffen teilweise wie Kurzgeschichten, geben Einblicke in fremde Leben und berühren.
Zwei dieser Nachrufe – einer auf Ines Hagemeier, der andere auf Lazlo Kerekes  –  sind in der aktuellen Escapade nun zu lesen.

Dazu begleiten Berliner Stadtbilder vom großartigen Siebrand Rehberg, einem deutschen Fotografen und Chronisten der Kreuzberger Aufbruchzeiten.
Unten erfahrt ihr mehr über die Künstler dieser Ausgabe

Auf zu den dunklen Seiten des Lebens.

Eure,

Silke Vogten und Flora Jörgens

 

 


Fotografie Siebrand Rehberg, Berlin 1973

 

Nachruf I

Ines Hagemeier
1966-2016

Ihre Kreuzberger Lieblingskneipe am Heinrichplatz wird im Kiezjargon „Goldener Schuss“ oder Geisterbahn genannt, schicke Kaffeevariationen gibt es hier nicht. Hier zeigt man der Schweinewelt draußen den Stinkefinger, vereint in Rausch und Realitätsflucht. Diese Welt hatte sie nach dem Besuch ihres Therapeuten entdeckt. Hier nannte man sie Tanzmaus, weil sie wie aufgezogen umher irrlichterte, nicht ruhig stehen konnte, im Körper einen Cocktail aus Psychopharmaka und Alk. Hier stellten nur wenige die Frage nach der Ursache ihrer Hämatome, wenn sie grün und blau einritt. Sie hätte sie wohl auch nicht beantworten können. Stürze oder Gewalt? Vieles war im Nebel. Aber Ines lachte gern und herzergreifend über das Leben, ihr Leben und die Welt draußen, die unverständlich und feindlich gesinnt schien. Mit einer zunehmenden Bitterkeit. Den Halt im Alltag hatte sie genauso schleichend verloren, wie das Bedürfnis nach fester Nahrung. Zuhause die Wodkaflaschen, dann ihr Auftritt am Tresen. Sie war charming, die Abgründe ahnten nur die, die sie Jahrzehnte kannten. Die alten Freunde aus Ostwestfalen, die auch hier verkehrten. Aber die waren froh, dass sie überhaupt noch lebte. Auf gut gemeinte Ratschläge reagierte sie ablehnend, hatte Sozialarbeiter und Suchttherapeuten schon lange hinter sich. Geblieben waren ein gesetzlicher Betreuer, eine Erwerbsunfähigkeitsrente und eine kleine Wohnung an der Hochbahn. Da lief den ganzen Tag das Radio, um die Stille zu übertönen. Vom Balkon prostete sie allein dem internationalen Partyvolk zu, das im Minutentakt in den vollbesetzten U-Bahnzügen Richtung Exzess und Technostrich vorbeirauschte. Für sie war das keine Option mehr, der tägliche Einkauf des Nachschubs im Discounter schon Herausforderung genug.

Aufgewachsen in Herford, einer ereignisarmen ostwestfälischen Kreisstadt, gerät ihr Leben nach dem plötzlichen Tod des Vaters aus der Bahn. Reitstunden sind Vergangenheit. Die Mutter muss die Autoreparaturwerkstatt retten, hat außer Strenge wenig Zugang zur Tochter, zwei Brüder nerven nur. Ines schmeißt das Gymnasium, kifft, und beginnt eine Ausbildung als Industrieschneiderin, um zuhause ausziehen zu können. Mit Mode und Kreativität hat der Berufsalltag wenig zu tun. Ines trägt schwarz, die Haare ausrasiert, eine coole New Wave-Frau, die am Wochenende im Kultschuppen „Forum Enger“ abhängt. Hier läuft düsterer Sound von „Bauhaus“, den „Sisters of Mercy“ oder den „Einstürzenden Neubauten“ aus Berlin, deren Frontmann Blixa Bargeld sie zeitlebens vergöttert. Ihr Freund, einige Jahre älter und abgebrühter, tickt mit Drogen. Die Purpfeife mit Hasch wird zum ständigen Begleiter, versöhnt beide mit allem, was an Leben und Zielen fehlt. Irgendwann wird es zu öde in der Provinz, wie viele Freunde gehen sie nach West-Berlin, in eine Welt voller illegaler Kicks. Sie wohnt in einem dunklen Loch im damaligen Szenebezirk Schöneberg. In der abgerockten Bude haben mal australische Rockmusiker gehaust, das Ex & Pop, ein legendärer Absturzladen, gleich vor der Haustür. Hier verkehren ihre Heroen Nick Cave und Blixa, die zerschossenen Nächte gesättigt von Speed und Wodka. Die Tage bleiern, die Jobs in Fabriken eher trostlos. Lange Zeit montiert sie Klobürsten im Akkord.

Irgendwann ist auch das zu öde, ein neuer Kick muss her. Heroin katapultiert das Paar auf einen anderen Planeten, der erste Druck erzeugt eine ungekannte Wärme, aber isoliert sie auch. Einige aus der alten Heimat-Clique gehen aus Selbstschutz auf Distanz zu den „Schildkröten“, wie sie wegen der extremen Verlangsamung ihrer Körpermotorik und Starrheit der Gesichtszüge spöttisch genannt werden. Gelacht wird nun nicht mehr, die Heizung läuft auf Anschlag, um die aufsteigende Kälte des Entzugs zu dimmen. Wie sie ihren Konsum finanzieren, bleibt unklar. Der Mauerfall eine große Verunsicherung. Berlin wird ihnen unheimlich. Beide ziehen zurück in die Heimat. Den Stoff gibt es längst auch hier, sie machen ein Business daraus. Schnell langt es für einen Geländewagen, mit dem sie die Droge an alte Bekannte verkaufen, die zerstört in ihren Kinderzimmern hausen. Knallhart, kalt, berechnend. Der eigene Suchtdruck diktiert alles. Dann fliegt Ines auf. Steht vor einem Richter, der gnädig ist. Bewährung, Krankenhaus, danach Methadon. Über sie wird in der Kleinstadt gesprochen. Zurück nach Berlin, der Partner ist nun Ex. Wieder Kontakt zu alten Jugendfreunden, in deren Wohnung sie die Ersatzdroge mühsam entzieht, düstere Musik hört und Blixas Buch „Stimme frißt Feuer“ fast auswendig lernt, um nicht durchzudrehen. Sie will sich neu erfinden, als Azara Bel, die Künstlerin. Mit Kopftuch wirkt sie optisch wie eine Wiedergängerin von Elvira Bach, einer Ikone der „Neuen Wilden“. Beginnt abstrakt zu malen und experimentiert mit Collagen aus Textilien. Harlekine, Fabelwesen, mal naiv am Rande von Kitsch, mal ausdrucksstark. Wirkt zufrieden, ausgeglichen, raus aus dem Sumpf. Die Freunde besorgen ihr eine Ausstellungsbeteiligung in Mitte, aber der Künstlerin-Traum ist nach einigen Jahren zerplatzt. Es folgen Beschäftigungsprogramme, mal mit wenig Sinn, oft mit noch weniger als das. Die Jahre vergehen, die alte Clique hat sich irgendwie im Leben angedockt mit Kindern und Jobbindung. Sie treibt. Ist gefährdet. Ein neuer Partner schlägt sie zusammen, beklaut sie, dann wird sie von ihm gestalkt. Selbst ihre Wohnung ist nun ein angstbesessener Ort. Alles zerbricht, langsam, unaufhörlich. Epileptische Anfälle machen die neue Arbeit in einer Kirche, wo sie gespendete Lebensmittel an Bedürftige ausgeben soll, unmöglich. Ein Konzert der „Neubauten“ im Radialsystem, das sie sich mühsam vom Munde abgespart hat, gerät zur bitteren Enttäuschung. Die machen nun in Hochkultur, von Underground keine Spur mehr. Die alten Zeiten sind vorbei. Immer wieder die Psychiatrie. Raus kommt sie zwar, besser ist nix. Die Mutter sucht nach ihr, auch die Heimatclique vermisst sie nun. Es wird an der Wohnungstür geklingelt, ergebnislos rumtelefoniert.  Dann die SMS ihrer Schwägerin aus Finnland: „Ines tot!“ Mehr nicht. Wochen später die Information, sie sei an Nierenversagen gestorben. Allein, in ihrer Wohnung. In der Urne die letzte Reise in die Heimat. Zur Beisetzung soll niemand erschienen sein. Kein Wunder, die ortsansässigen Bekannten aus der Scene sind schon lange am Heroinkonsum gestorben. Aber das hat Ines so nicht gewollt.

Erik Steffen

 


Fotografie Siebrand Rehberg, Berlin 1973

 

Nachruf II

Laszlo Kerekes
1954-2012

Ein See ohne Wasser in der Vojvodina, Jugoslawien. Ein Mann mit Bart und langen Haaren malt mit Kreide bizarre Muster auf den verdorrten Boden, als wolle er Außerirdischen beim Landen helfen. Oder Bombenabwürfe lenken, auch wenn noch keiner ahnt, dass es sie geben wird. Am Ufer ein junges deutsches Touristenpaar, ungläubig und fasziniert. Sengende Hitze, in Laszlos Flasche ist kein Wasser, sondern selbst gebrannter Schnaps. Sie kommen ins Gespräch, aber verständlich machen kann er sich nicht. Worin besteht der Sinn dieser vergänglichen Kunst jenseits von Galerien, Museen, Auktionen? Der Mann wird einsilbig und zieht weiter seine Bahnen.

Sie werden sich in Berlin wiedersehen, irgendwann nach seiner Flucht aus dem Land, das Jugoslawien hieß und das zum Schlachtfeld werden sollte. Seine Heimat, eine Hassliebe. Die Spuren, die er hinterlässt, sind flüchtig.

Geboren wurde Laszlo in der Batschka, einer Region, in der 18 deklarierte Minderheiten unter Titos harter Hand friedlich miteinander lebten. Seine Eltern, beide Lehrer, gehörten zur ungarischen Minderheit. Die Ex-Partisanen sprachen Deutsch miteinander, wenn es um Politik ging. Die Söhne sollten davon nichts mitbekommen. Schon als Kind wollte Laszlo Künstler werden, aber anpassen wollte er sich nicht. Immerhin, in Jugoslawien gab es mehr Freiräume als anderswo im Osten. Laszlo kann reisen, lernt Asien kennen, macht Kommune-Erfahrungen, ist Hippie. Anfang der Siebziger gehört er zur neoavantgardistischen serbisch-ungarischen Künstlergruppe „Bosch + Bosch“. Er studiert Philosophie, dann Restaurierung. Als Konservator und Dokumentarist bekommt er öffentliche Aufträge, als Künstler führt er ein Nischendasein mit einer gewissen Ausstrahlung. „Land Art“, „Body Art“, „Mail Art“, über die Landesgrenzen hinaus wird er bekannt. Und er wird viel verlieren.

1988 kommt er nach West-Berlin, fremdes Territorium. In der Hand einen kleinen Koffer, in der Jackentasche Adressen von Unbekannten, ein wenig Geld. Zurückgelassen hat er seine Kunst, seine Familie, seine Heimat, sein altes Leben. Eine Studentin öffnet die Tür und lässt ihn eintreten. Sie kennt seine Heimat, aber nicht diesen Mann mit vollgekleckstem Künstlerhut. Er kann ihr immerhin ein paar Fotos seiner Werke zeigen. Sie ist begeistert, auch von seiner Wärme und seinem Humor. Die beiden verständigen sich mit einer wilden Mischung aus Broken English und anderen Sprachen – und sie werden ein Paar, symbiotisch, für mehr als ein Jahrzehnt.

Für Laszlo ist die Begegnung eine Bestätigung seiner Maxime „God is helping me“, alles wird gut, alles ist erreichbar, auch wenn man sich völlig verausgaben muss. Die Hoffnungen sind groß, die Enttäuschungen nicht minder. Schnell wird klar, dass auch in Berlin die Freiheit ihre Grenzen hat. Auf dem Kunstmarkt erkennt er die mafiösen Strukturen seiner Heimat wieder. Sein Genie kann und will er nicht verkaufen. Vom Mauerfall profitiert er nur als Mauerspecht – und wird um den Lohn geprellt. Seinen Job als Ikonenrestaurator machen andere nun für weniger Geld. Er baut Lampen und Möbel, renoviert Wohnungen, hält sich irgendwie über Wasser.

Natürlich hat er Freunde und Bewunderer, die ihn unterstützen, seine Kompromisslosigkeit schätzen. Er wohnt und arbeitet in einer ehemaligen Backstube in Neukölln, ein großer gekachelter Raum, ein kleiner Allesbrenner, ein modriger Keller, Außenklo. Im Winter eine Eiswüste, in der er arbeitet und für Freunde Vernissagen macht. Überall Bilder, wenig persönlicher Besitz, vor allem Filme und Tonträger. Er liebt Tarkowski, Kaurismäkis „Das Leben der Bohème“, Technomusik und Laibach, die slowenische Industrialband. Als der Krieg in seiner Heimat ausbricht, gelingt ihm mit einer Ausstellung ein Coup: „Some Wall“ in der Elefantenpress-Galerie. 30 Tafelbilder mit Griffen zum Tragen, auf alte Schulstühle gestellt, Gebisse, Stacheldraht, zerstörte Felgen, Zerstörung, Flucht, Verzweiflung. Ein Foto zeigt ihn inmitten der Installation, erschöpft.

Anonyme Anrufer, die er als Serben identifiziert, wollen ihm die Hände abhacken. Er soll nie mehr malen können. Die Bilder verkauft er an Bekannte für den Gegenwert seiner astronomischen Telefonrechnungen. Er würde so gerne Menschen in seiner zerbrechenden Heimat unterstützen, aber er ist ja selbst bettelarm. Manchmal kann er Kurieren Geld für die Familie mitgeben. Ruhelos die nächsten Jahre, Laszlo steht unter Dauerdruck. Und produziert Verstörendes, wovon nur wenig in Museen gerät – und wenn, dann als „sozialer Stützungskauf“.

In Copyshops ist er Dauerkunde, arbeitet an der experimentellen Ausweitung seiner Technik. Und unterfüttert seine Kunst mit philosophischen Manifesten. „Dies ist nicht mein Jahr“, ein serieller Text mit Bildern wird zum Buch „Geogram“. Freunde kaufen es ihm ab, zum Selbstkostenpreis. Wovon er lebt, weiß niemand so genau. Er kann die Künstlersozialkasse nicht bedienen, produziert ohne Ende und das in einer Stadt, in der es mehr Bilder als Wände gibt.

Der Künstler, der nur Ablehnung spürt, wird aggressiv. Gegen andere und gegen sich. Laszlo schont weder sich noch seine Kunst. Ein cholerischer Kettenraucher mit Schlafdefizit, schon verkaufte Werke tritt er kaputt oder malt sie um, den verdutzten Kunden erzählt er etwas von „balkanischer Energie“. Er meint: Verzweiflung.

Seine Materialien sind oft Wegwerfprodukte der Konsumgesellschaft, „Recycling Memory“ heißt sein Projekt, auf Flohmärkten findet er Nachlässe, Fotos, Dias, Schrott. Er arbeitet nachts, allein. Beeindruckende Objekte entstehen, er stellt sie aus. Jetzt nicht mehr in Galerien, sondern als Zwischennutzer urbaner Leerstellen, ehemalige Umspannwerke, eine runtergekommene Jugendstilvilla in Potsdam.

Einige seiner Mitstreiter werden Karriere machen, Laszlo bleibt zurück. Dann der Mietvertrag für eine ehemalige Zoohandlung in Mitte, der Traum von einem Künstlertreffpunkt, „artists’ space“, eine unabhängige internationale Produzentengalerie. Nach einem furiosen Jahr ist er ausgeträumt. Laszlo ist kein Gruppenmensch.

Videokunst, Performances und Fotografie werden neue künstlerische Ausdrucksformen. Seine Werke werden in New York, Budapest und Venedig gezeigt. Dann gibt es mal ein Jahr ohne Not, ein Stipendium des Kunstfonds Bonn. Er archiviert sein Werk akribisch, kann endlich reisen und internationale Netzwerke aufbauen. Die europäische Kulturzeitschrift „Lettre International“ bringt seine Arbeiten auf dem Titelbild. Aber Geld oder weitere Aufträge bringt das nicht.

Der Künstler sammelt Flaschen, baut Fahrräder zusammen und streicht fremde Wohnungen.

Vor zwei Jahren streikt sein Herz. Nach der Operation ist er auf einen Computer angewiesen, der es am Schlagen hält. Er trägt ihn in einer Umhängetasche mit sich, stets in Sorge um die Akkus und mit der Angst vor vermeintlichen Störgeräuschen. Rettung und Marter zugleich. An Freunde schreibt er eine SMS: „das neueste kunstprogramm ist: das verschwinden im rhythmus des herzens wie eine kerze.“ Seine Visionen sind ungebrochen, allein die Kraft fehlt. Johanna, seine letzte Lebensgefährtin, kümmert sich um eine Grundsicherung für den kranken Künstler. Sie haben sehr schöne Momente, aber die Zeit drängt. Laszlo sichtet sein Lebenswerk, zerstört und bewahrt für imaginäre Adressaten.

Kurz vor seinem Geburtstag findet sie ihn leblos im aufgeräumten Atelier, auf dem Tisch wie eine letzte ironische Inszenierung ein „Spiegel“-Titelblatt zur Euro-Krise mit Trauerflor: „Plötzlich und erwartet“. Es war keine technische Störung. Er hat sich entschieden zu gehen.

Die bewegende Abschiedsfeier in einer Kapelle, eine Gipsyband spielt auf. Die Trauergäste haben weite Reisen auf sich genommen. Ein letztes Mal macht Dragana, seine künstlerische Weggefährtin, eine Performance mit einem seiner selbst gebauten schweren Metallhelme, wie ein überdimensionierter Tiefseetauchhelm. Die kleinen Monitore, in denen früher analoge Fernsehbilder liefen, bleiben schwarz, es gibt dafür keinen Empfang mehr. Die Schläge mit einem Stock, ihr Echo wie ein Herzschlag, der sich steigert und dann verhallt. Seine Asche wird an einem unbekannten Ort verstreut, sein letzter Wille: Die Werke sollen in den nächsten 20 Jahren weder in Serbien noch in Ungarn zu sehen sein. Er will nicht postum vereinnahmt werden. Es kommt anders. Ende Dezember wird eine Ausstellung in Novi Sad eröffnet, sein Name in serbischer Schreibweise. Eine letzte Verletzung.

Erik Steffen

 


Fotografie Siebrand Rehberg, Berlin 1973

 

Künstler dieser Ausgabe:

Erik Steffen, Jahrgang 1963, wurde Anfang der 80er Fan der West-Berliner Kultgruppe Die Tödliche Doris, studierte sinnfrei an verschiedenen Orten, um endlich 1986 Kreuzberg SO 36 zu betreten, wo er lange lebte, dachte, schrieb und trank. Der Mauerfall führte ihn zum Studienabschluss über Punk und Literatur in der DDR, in den Bundestag als Lektor und wieder hinaus, ins Freie… Davor, dabei und danach Industrial, Techno und HipHop.  Seine Begegnungen mit Menschen und den Abschieden sind als Nekrologe seit 2008 im Tagesspiegel und später dem DreckSack nachlesbar. Außenseiter pflastern seinen Weg. Als Herausgeber, Autor, Literaturveranstalter text flex und Kurator Spuren, die in der Hackfresse Gentrifizierung sitzen! Pickel & Pisse. Halt Punk. Letzte Mittäter-Taten: SO36, Von 1978 bis heute (Ventil Verlag), Schwarzbuch Kreuzberg (edition rabenschwarz).

Siebrand Rehberg, wollte Anfang der 70er in West-Berlin Kunst studieren und wurde Fotograf. Seine Bilder, ein Schatz, lagerten im Archiv. Durch die Begegnung mit Erik Steffen vor mehr als zehn Jahren die Entdeckung einer Tiefenwirkung, die bis heute anhält. Stadtteilgeschichte Kreuzbergs, Geschichte Berlins: Signale des Aufbruchs. Eine späte Würdigung  durch den EMOP ab 2012. Im Oktober 2018 die Fotoausstellung: UNGESCHÖNT Menschen – Bewegungen – Stadtansichten mit 7 weiteren Fotografen im Friedrichshain/Kreuzberg Museum. Im dazugehörigen Bildband schreibt Erik Steffen: „Siebrand Rehberg, sensibler Chronist der Kreuzberger Aufbruchzeiten vor 40 Jahren, bewegt sich mit der Kamera seit 2012 erneut durch seinen Kiez. Neugierig und rastlos. Die einst stille Admiralbrücke ist nun zum touristischen Hotspot geworden, überall Musik und der fantasievolle Kampf um Wahrnehmung oder Unterstützung an jeder Straßenecke. Bunt ist die Welt vor der eigenen Haustür. International scheint das Bedürfnis, einfach zu leben in dieser Welt, deren Widerhaken die einen auf die Straße zwingen und die anderen auf scheinbar sicherem Terrain wandeln, wohnen und leben lassen. Eine Welt der Gegensätze.“

 

 

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