Titelbild: Collage Heuer+Kerenski 2024 Poesieallee
Editorial
Liebe Freunde, Kollegen, Medienschaffende,
der Monat November ist da – der klassische Trauermonat. Und so haben wir ihn auch in der Escapade schon vielfach begangen.
Dieses Mal stellen wir ein ganz besonderes Projekt vor.
Unter der Leitung des Trauergäste-Chauffeurs des Düsseldorfer Nordfriedhofs Tom De Toys hat das G&GN-INSTITUT die Anthologie „GEDICHTE FÜR FRIEDHÖFE“ mit 42 ausgewählten Gedichten von 13 AutorInnen zu den Themen Trauer, Gräber, Friedhof, Sterben, Tod und Vergänglichkeit zur Verwendung als Poesieallee an Friedhofsbäumen kuratiert.
Intention von Tom De Toys: „Die Publikation soll interessierten Friedhöfen dienen, Varianten der Umsetzbarkeit dieser Idee für sich auszuloten und aus dem Pool von 42 Gedichten der 13 AutorInnen für speziell ihren konkreten Ort (wie z.B. Baumalleen, Denkmäler, historische Grabstätten) geeignete Texte für das Gelände zu entdecken. Künstlerisch begleitet werden die Gedichte von einem Künstlerduo mit je 1 Collage pro SchriftstellerIn. Poesiealleen auf Friedhöfen laden dazu ein, beim entschleunigten Flanieren lyrische Gedanken zu lesen, die Balsam für die Seele sind und den eigenen Reflexionsprozess heilsam unterstützen. Gedichte dienen hier als Spiegel menschlicher Gefühlszustände und holen den Grabbesucher in seiner Gemütsverfassung ab, zeigen ihm, dass niemand alleine ist mit seinen Fragen ans Leben. Als Vorbild für das Open-Air-Lyrik-Konzept diente die Poesieallee in Castrop-Rauxel anlässlich des 60. Jubiläums 2022 als Europastadt, für die der Trauerchauffeur sowie Lafleur Gedichte geliefert hatten.“
Die beiden Collagenkünstler – auch des Titelbilds – sind Stefan Heuer und Boris Kerenski. Einige Gedichte aus der Anthologie gibt es nun vorab hier.
Lasst sie auf euch wirken.
Eure,
Silke Vogten und Flora Jörgens
Gedichte für Friedhöfe
Friedhofsgeflüster
© Marvin Chlada
Die Nacht war warm
Und wir liebten uns
Auf dem Grab Ihres
Vaters
Das Grab war noch
Frisch und unbepflanzt
Und die Erde etwas
Feucht
Als wir den Friedhof
Verlassen hatten
Drückte sie mich noch
Einmal an sich
Und flüsterte:
Er weiß warum
Er weiß es
Mit letzter Kraft
© René Oberholzer
Ein paar Blätter noch
Die sich festklammern
An einem dünnen Ast
Der sich festklammert
An einem dürren Baum
Der sich festklammert
An einem losen Boden
Der sich festklammert
An der Welt
weltformel
© Tanja Lulu Play Nerd
die toten sind alle mit uns
in der schönheit der natur
dem zarten sonnenstrahl
über der landschaft und
dem endlos weiten
blauen himmel
GEISTLOSE GRABREDE
© Tom de Toys
nicht die welt vergißt uns
sondern wir die welt
der tod ist dunkler als die nacht
und schwärzer als das all
das nichts ist nichts dagegen!
unser tod ist stärker
als der wunsch zu leben
unser sterben schwächer
als der tiefste schlaf
wir kommen aus dem wunder
und wir gehen in das wunder
in uns schreit die letzte frage:
WARUM GIBT ES
DAS GANZE ÜBERHAUPT?
aber das universum macht
einfach weiter es kennt
diese frage nicht
Was bleibt
© Silke Vogten
Ein Bild an der Wand
Ein Gefäß mit Asche weit hinten im Garten
Eine Stimme auf einer Mailbox
Eine Jacke und ein Pullover
die noch ihren Geruch tragen
schwächer werdend
Es bleibt
unfassbar
Rainer Resch
Schön. Und das einzige Unbekannte, über das wir wirklich nichts wissen.