
Titelfoto: Jörg Scholz
Editorial
Liebe Freunde, Kollegen, Medienschaffende,
Novemberblues oder Grusel über die Nationen dieser Welt? Nein, nix davon erwartet euch davon in der neuen Escapade. Statt in schaurige Kürbisse oder dunkle Abgründe stürzen wir ohne Ziel los (nicht ab) und tun so, als wäre ewig Sommer und alles ein Spaziergang. Nepp geht ja immer …
Also folgen wir in dieser Ausgabe einem Flaneur, der absichtslos durch die Stadt streift, nämlich dem Kölner Jörg Scholz: „Als ich mal keine Lust hatte, schon wieder zu exotischen Orten zu reisen (Niederlande, Frankreich z.B.), stellte ich fest, dass man gar nicht zu exotischen Orten reisen muss, um aufregende Dinge zu erleben. Einen Gang runterschalten und mit offenem Auge, Ohr und Herz vor der eigenen Haustür (oder dahinter) unterwegs sein kann genauso spannend sein.“
Und so entdeckte Jörg Verblüffendes: tatsächlich Nepp in Nippes.
Schlendert mit ihm durch die Stadt, betrachtet, staunt,
empfehlen
Eure,
Flora Jörgens und Silke Vogten

Foto Jörg Scholz_  Nippes_1_Schneppenh.
Nepp in Nippes
Was „Schneppenh“ auch immer ist oder war – der Nepp steckt bereits im Namen.
Eine meiner liebsten Beschäftigungen ist das Umherschlendern. Es unterscheidet sich vom gewöhnlichen Spazierengehen neben der reduzierten Geschwindigkeit dadurch, dass es kein konkretes Ziel gibt und dass man zwischendurch auch mal in ein Café einkehren, in ein interessantes Geschäft hineingehen, einfach stehen bleiben, in den Himmel gucken oder sich sogar umdrehen und in die entgegengesetzte Richtung gehen darf. Umherschlendern eignet sich insbesondere für urbane Umgebungen.
In Köln verhält es sich mit den Stadtteilen manchmal so, als wären diese von verfeindeten Stämmen besiedelt. Wohnt man in Ehrenfeld, fährt man nicht nach Sülz zum Einkaufen oder isst gar in einem Restaurant in der Südstadt. Ein Stadtteil, der was auf sich hält, bietet daher alles, was das Herz des modernen Städters begehrt:
- Ein Geschäft, in dem schöne, aber unpraktische Custom-Fahrräder zusammengeschraubt werden
- Einen Lukas-Podolski-Dönerladen
- Ein Eiscafé mit 3-Euro-Eiskugeln, die wenig bis nichts von dem enthalten, weshalb man als Kind verrückt nach Eis war (Zucker, Aromen, Farbstoffe, Sahne)
- T-Shirtläden mit T-Shirts, deren Aufschriften behaupten, dass der Stadtteil, in dem man wohnt, die bedeutendste Agglomeration neben Paris, London und Tokio sei
Ich jedoch bin ein mutiger und neugieriger Mensch und daher wage ich gelegentlich einen Blick über den Tellerrand. Das Ziel meines Umherschlenderns an diesem Freitagnachmittag ist mein Nachbarstadtteil Nippes.
Aha. Die Menschen hier sehen fast so aus wie die bei mir in Neu-Ehrenfeld. Auch beim Erscheinungsbild der Straßenzüge gibt es verblüffende Parallelen. Die Mehrfamilienhäuser sind hier, etwas abseits der Hauptverkehrsader Neusser Straße, niedriger als in innenstädtischen Bereichen. Es gibt eine ganze Anzahl Geschäfte, die man grob als „alternativ“ bezeichnen könnte: Eine Töpferei, Yogastudios, eine Zauberschule, ein spirituelles Bauchtanzinstitut, ein Geschäft für Esoterik-Ausrüstung. Die relativ häufigen Altbauten lassen darauf schließen, dass der Bombenhagel im zweiten Weltkrieg erst kurz hinter Nippes so richtig einschlug.

Foto Jörg Scholz: Nippes_2_Ross
Das Umherschlendern macht hungrig. Mir fällt ein Haus auf, in dem sich angeblich eine Ross-Schlachterei und eine Bäckerei befinden. Gerade als ich Appetit auf ein mit Pferdesalami belegtes Brötchen bekomme, wird mir klar, dass es sich doch nur um ein falsch beschriftetes, weil reines Wohnhaus handelt.

Foto Jörg Scholz: Nippes_Schweine
Enttäuscht schlendere ich weiter. Nur ein paar Häuser daneben zum Glück noch eine Metzgerei.

Foto Jörg Scholz:  Nippes_4_Cafe

Foto Jörg Scholz: Nippes_5_Schuhhaus

Foto Jörg Scholz: Nippes_6
Nichts ist in Nippes, wie es scheint. Und wenn es dann doch mal Gelegenheit gäbe, einen Laden zu beschriften, fällt den Nippesern kein geeigneter Name ein:

Foto Jörg Scholz: Nippes_7_Obst
Dabei hätte man sich nur zwei Straßen weiter Anregungen holen können, hier freilich auch wieder ohne die versprochenen Waren:
Die Nippeser scheinen ein etwas konfuses Völkchen zu sein. Ich sehe es ihnen nach. Ich werde gerne wiederkommen, um mir beim nicht vorhandenen Metzger eine Pferde-Ochsen-Schweine-Wurst nicht zu kaufen und anschließend nicht zu essen. Dafür gehe ich zum Laden _______ und gönne mir eine saftige, äh …
Künstler dieser Ausgabe…
Jörg Scholz, betreibt auf der Plattform Substack einen Newsletter mit dem Namen Die Kreaturen. Dort schöpft er: aus sich, in Wort und Bild (und gelegentlich Ton). Mal als Miniatur mit 100 Wörtern und einer Zeichnung, mal als Bildergeschichte, mal als Foto-Love-Story. Außerdem arbeitet er an einem Roman, an einer unterhaltsamen Sachbuchreihe und an einem Drehbuch. Seine fünfköpfige Familie ernährt er mit kommerziellem Storytelling/kreativer Kommunikation für Unternehmen und Dienstleister.
